Der Drachentraum
- Amanda

- 18. Sept.
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 28. Sept.
Träume ich?
Ich sitze vor einer alten, weißhaarigen Frau. Sie scheint uralt zu sein, doch sprechen ihre schmalen Gesichtszüge, ihre großen, leuchtenden Augen von einer vergangenen Schönheit, die noch immer wahrnehmbar ist.
Eigentlich weiß ich gar nicht wie ich hierhergekommen bin, vielleicht träume ich auch? Es ist alles um mich herum wie im Nebel, ich kann es nicht wirklich wahrnehmen, meine volle Aufmerksamkeit ist auf sie gerichtet. Auf die Unbekannte, die mich mit ihren Augen, wie aus dunklen Seen, genauestens betrachtet. Ich bin leicht angespannt, sie hingegen scheint alle Zeit der Welt zu haben und wartet, beobachtet einfach nur.
Vorsichtig räuspere ich mich und bekomme ein krächzendes „Hallo“ hervor. Wohlwollend lächelt sie mich an, mit ihren einst vollen Lippen, die noch von zärtlich gelebten Küssen erzählen. Ihre wahre Lebendigkeit jedoch, steckt in ihren Augen und diese blitzen leicht auf, als ein Lächeln ihre Mundwinkel umspielt.
„Meine Liebe…“, beginnt sie, mit einer angenehmen Stimme, die es gewohnt scheint Zuhörer mit ihren Geschichten in den Bann zu ziehen.
„… fürchte dich nicht, ich bin zu dir gekommen, ich bin in deinem Traum, weil ich eine wichtige Botschaft für dich habe.“
Ich schlucke, also doch! Ich träume, kann aber nicht aufwachen, das habe ich bereits versucht. Ich frage: „Ist es etwas Schlimmes?“.
Sie wirkt ernster als soeben: „Genau darum geht es, ist es etwas Schlimmes? Es geht um die Angst. Sie lähmt dich und dein Volk, sie gehört nicht in unsere Welt. Sie wurde uns gebracht, um uns selbst zu zerstören.
Wenn du magst, so höre mir einfach nur gut zu. Merke dir alles, was ich sage, du weißt danach genau was zu tun ist.“
Ich nicke und bekomme Gänsehaut –
Die Frage: „Wieso ich?“, kommt unbedacht aus mir.
„Weil es dein Schicksal ist. Die Geschichte zu leben, zu erzählen und zu heilen, dich und deinesgleichen“, "Ich verstehe nicht...", sie unterbricht mich, indem sie ihre dünnen, knöchrigen Hände auf die Meinen legt.
„Du wirst verstehen meine Liebe, lass mich erzählen,“ sagt sie sanft aber nachdrücklich, „die Zeit…“
Ich nicke und versuche mich, so gut es eben geht, zu entspannen.
„Es war einmal,… so beginnen alle guten Geschichten, so wie auch diese...
Es war einmal eine Zeit, in der die Menschen keine Angst hatten.
Es gab sie einfach nicht, es gab keinen Grund dafür. Niemand hatte sich die Angst erdacht und so gab es auch kein Wort dafür.
Sie war schlicht und einfach nicht vorhanden.
Nun, du und ich, wir wissen es besser, die Angst ist überall. Die Angst sichert unser Überleben, aber sie bestimmt auch unser Leben.
Sie ist ein stetig anwesender Schatten, dem wir nicht ausweichen können. Die meiste Zeit versuchen wir ihn beiseite zu schieben, doch manchmal wird er so groß, daß wir versuchen uns vor ihm zu verstecken, was nicht immer gelingt. Dann wird die Angst riesengroß, wir sind entsetzt und uns überkommt das große Grauen.
Ich komme aus einer Zeit, in der wir mit unseren Drachen lebten, sie noch frei waren, sie mit uns lebten.
Die Drachen, so furchteinflößend die grausamen Geschichten auf euch heute wirken, waren einst die besten Freunde der Menschen. Jeder Mensch hatte seinen Drachen und wie es in vielen Erzählungen so lautet, der Drache suchte sich seinen Menschen aus.
Wir waren zusammen unschlagbar, echte Freunde mit Witz, mit Fürsorge und vielen bunten Abenteuern, aber allen voran waren wir ein Herz und eine Seele.
Es waren nicht nur die Drachen mit denen wir verbunden waren, es waren die Feen, die Elfen, die ganzen Naturgeister, von denen ihr heute noch nie etwas gehört habt.

Es kam der Tag als das Unfaßbare geschah, die Drachen waren von einem Tag auf den nächsten verschwunden.
Wir wissen bis heute nicht, wo sie sind, nur das sie gefangen wurden und unter schlimmsten Bedingungen auf engstem Raum gehalten werden. Sie können sich nicht befreien, ein Zauber liegt auf ihnen, sie schlafen die meiste Zeit, nur ganz selten werden sie wach und sie werden schwächer und schwächer.
Einige wenige von uns sind mit ihrem Drachen noch verbunden, so wie ich.“
„Hat dein Drache dich zu mir geschickt?“ frage ich mit ehrlicher Wißbegier, denn bei dem Gedanken an das Leid, welches ihnen und den Menschen zugefügt wurde, zieht es mir das Herz zusammen.
Sie nickt: „Ja, daß hat er und....", sie zögert kurz, "...dein Drache." Ich habe Gänsehaut, doch ich Zweifle keine Sekunde lang. "Zwei Drachen wurden in Gefangenschaft geboren. Eure Drachen können nicht mit euch sprechen, sie tun es über die Gedanken. Ihr könnt sie nicht wahrnehmen, weil ihr sie noch nie berührt habt. Doch sie fühlen euch, die Drachen wissen es immer zuerst, lange vor den Menschen, wer für sie bestimmt ist. Dein Drache fühlt dich und sein Drache fühlt ihn ebenso.
Doch lass uns keine Zeit verlieren, kommen wir zum Kern.“
„Seiner?“ frage ich.
Sie bekommt rosige Wangen und plötzlich kommt sie mir gar nicht mehr so alt vor, fast jugendlich ist ihre Ausstrahlung jetzt, so kraftvoll und stark.
„Ja, seiner. Seit Anbeginn der Zeit gab es eine bestimmte Anzahl von Seelen, welche füreinander bestimmt waren. Wir nannten sie die „URpaare“, sie fanden sich immer, es war alles ganz leicht und sie waren der Grund, warum die Welt immer im Einklang war. Sie waren unsere Kundigen, die Kunnige, gemeinsam, Hand in Hand. Sie lebten mitten unter uns, doch ihre besondere Ausstrahlung, ihre Weisheit war uns ein Leitstern.
Seit es keine Drachen mehr gibt, die Welt in Schieflage geraten ist und die Dunkelheit immer größer wird, ja selbst im Sommer die Sonne kaum noch zu sehen ist, seither finden sich die URpaare kaum noch. Das Tragische ist, wenn sie sich finden, dann erkennen sich die Wenigsten und selbst wenn sie sich erkennen, dann schaffen sie es nicht zueinander zu finden, denn sie tragen den Weltenschmerz und die von anderen Menschen zugefügten Wunden im eigenen Herzen. Sie haben Angst voreinander, Angst vor der Liebe, vor der Tiefe der Gefühle. Es ist nicht zu verurteilen, in einer Welt wie dieser…“
Sie blickt traurig nach unten, schüttelt langsam, nur für sich den Kopf.
Doch dann kommt wieder das Leben in sie zurück und sie fährt fort:
„Ihr müsst eure Angst an die Hand nehmen, sie nicht als den Feind betrachten. Solange die Drachen gefangen gehalten werden, solange wird die Angst anwesend sein. Irgendwann, wenn die Menschen keine Angst mehr haben, dann schwindet der Zauber der die Drachen gefangen hält, dann werden die dunklen Schatten, die noch nie jemand zu Gesicht bekommen hat, verschwinden und unsere Welt wird wieder zu blühen beginnen.“
„Aber…“ beginne ich, doch sie legt ihren Finger auf ihre Lippen und bedeutet mir ruhig zu bleiben. „Schscht! Die Zeit…“ wispert sie und beginnt weiter zu erzählen.
„Eure Angst ist ins Unermessliche gewachsen, sie ist so groß, daß sie aller Leben überschattet. Es ist, als wären die Schatten jetzt unter euch. Sie wollen euch beseitigen, euch und euer ganzes Volk, sie wollen die Erde für sich, Mittelerde.
Das Gute ist, es gibt einen Weg, er ist steinig, schmerzhaft, doch notwendig. Das schöne daran ist, ihr findet euch selbst, ein jeder für sich.
Ihr Menschen heute habt vor allem Angst, vor jedem neuen Tag, vor allem Unbekannten, vor der Eigenverantwortung, vor der Wahrheit…, ihr seid auch Gefangene, so wie unsere Drachen.“
„Und ihr, habt ihr etwa keine Angst?“ frage ich vorwurfsvoll. „Nein, ich bin mit meinem Drachen verbunden, da gibt es keine Angst, wir können nur leider nicht helfen. Ihr müsst es sein, du und dein UR und eure Drachen, die ihr noch nicht kennt.
Wenn du deinen UR triffst, wird es ein sanftes Erkennen sein. Es ist anders als alles, was du bisher erlebt hast. Du wirst die Vollkommenheit der Stille erleben.
Es wird euch beide berühren und zugleich ängstigen. Doch behaltet Vertrauen, das Band zwischen euch reißt nicht.
„Was soll ich tun?“
„Bleib bei dir, egal wie schmerzhaft es zu Beginn ist, es wird leichter. Manchmal scheint es, als würdet ihr durch die Hölle gehen mit allen Wunden, der Panik, dem Herzschmerz und dem Nichtatmenkönnen. Bleibt im Vertrauen, wenn ihr beginnt jeder auf euch zu schauen, werdet ihr schnell merken, daß alles nur Schatten sind. Ihr geht diesen Weg vielleicht eine zeitlang nicht gemeinsam, doch bevor der Fluß mündet, werdet ihr euch wieder finden. Hegt keine Zweifel daran, ohne die Drachen ist es sehr schwer, doch in Gedanken und im Herzen sind sie bei euch.
Ihr zwei seid unsere letzte und einzige Möglichkeit, wieder wahrhaft frei zu werden und ein Leben ohne Angst zu leben.
Ihr werdet es schaffen und dann erzählt allen davon, wie es sich anfühlt und wie es ist, den Drachen bei sich zu haben, wenn auch nur im Herzen und in den Gedanken.
Je mehr von euch es schaffen, umso mehr Drachen werden geboren. Wenn sie sich wieder mit den Menschen verbinden können, um so schneller schwindet die dunkle Angst und somit die dunklen Schatten auf der Erde. Dann können wir die Drachen befreien.“
Eine Träne rinnt aus ihren dunklen Seen und sie färben sich grün.
„Achtet nur auf euer Herz, lasst euch nicht verunsichern, von niemandem!! Sie sagt dies so nachdrücklich, daß mich ein Schauer überfällt. "Es gibt Steine, die euch in den Weg gelegt werden, das Zusammenfinden soll verhindert werden, falsche Dinge werden erzählt. Traut nur euch selbst, wahre Freunde reden niemals schlecht über einen von euch. Sie glauben an euch, geben euch Kraft, sind einfach da und geben euch Halt. Wer Zweifel in euch sät, ist kein Freund. Vergiß niemals meine Worte, gehe deinen Weg, geht euren Weg, folgt eurem Herzen, eure Seele führt euch. Euer Licht ist stärker als jeder Schatten. Vertraut einander, glaubt an euch…“
Die letzten Worte scheint sie mir zu zurufen, denn sie verschwindet im Nebel und ich erwache, schnappe mir mein Tagebuch und schreibe mir alles, woran ich mich erinnere, auf.
Heute beginnt meine Reise…“ Weltenschmerz.
Leibesschmerz.
Herzensschmerz.
Seelenschmerz.
Der Schmerz ist nicht das Ende,
kein Zerbrechen –
es ist ein Aufbrechen,
der Schmerz vor dem Erblühen.
Amanda Schwarzenau
September 2025
Ein Traum.
Nur ein Traum?
Wir wissen es besser, ob Drachen oder nicht, wissen, nein spüren wir doch, die Reise hat längst begonnen. Bleiben wir im UR- Vertrauen.